Der Kanton will das Jugend- und Kulturzentrum von der Stadt übernehmen und auch finanzieren. Nun wird diskutiert, inwiefern die Stadt noch Einfluss haben kann.
Zuständigkeit und Finanzierung beim Gaskessel sollen sich grundlegend ändern. Per 1.Januar 2013 will der Kanton Bern das Jugend- und Kulturzentrum übernehmen, finanzieren und steuern. Bisher hat
die Stadt das Sagen. Seit 2002 ist der Verein Gaskessel direkter Vertragspartner der Stadt. Im Leistungsvertrag ist geregelt, welche Leistungen im Bereich Jugendarbeit erfüllt werden müssen. Der
Gaskessel kostet die Stadt jährlich 400'000 Franken. Davon sind rund 220'000 Franken für die Jugendarbeit vorgesehen, der Rest für die Miete.
Die nun geplante Änderung geht auf die revidierte Verordnung über die Angebote zur sozialen Integration (ASIV) zurück. «Städte wie Bern erfüllen in der offenen Kinder- und Jugendarbeit eine
Zentrumsfunktion. Wir wollen sie deshalb entlasten», begründet Sabine Schläppi. Sie ist Leiterin der Abteilung Gesundheitsförderung und Sucht/Fachstelle Familie bei der kantonalen Gesundheits-
und Fürsorgedirektion. Der Gaskessel ziehe auch Publikum aus der Region und nicht nur aus der Stadt an, so Schläppi. Die Übernahme wird die Stadtkasse um rund 400'000 Franken entlasten und eine
andere Kürzung zum Teil kompensieren: Per 2011 stellte der Kanton die offene Kinder- und Jugendarbeit mit der ASIV-Revision auf die gleiche Stufe wie die familienergänzende Kinderbetreuung. Das
Geld für die Jugendarbeit wird seither auf eine grössere Zahl Gemeinden verteilt. Bern gehört zu den Gemeinden, die weniger erhalten als bisher. 29 Prozent der bisher 3,5 Millionen Franken wurden
gestrichen.
Stadt will Einfluss behalten
In den nächsten Wochen laufen Gespräche über die Inhalte des Leistungsvertrags zwischen dem Kanton und dem «Chessu»-Verein sowie über die künftige Rolle der Stadt. Jürg Häberli, Leiter des
städtischen Jugendamts, bezeichnet den Wechsel der Zuständigkeit wegen der überregionalen Ausstrahlung des «Chessus» als «sicher nicht völlig absurd». Und die Änderung entlaste ja die Stadtkasse.
Wichtig sei aber, dass die Stadt auch künftig einen gewissen Einfluss auf den Gaskessel und den Verein ausüben könne. «Das Know-how der Stadt muss unbedingt weiter einfliessen», sagt Häberli und
ergänzt: «Der Gaskessel ist eine Einrichtung, die eine starke Begleitung braucht, da sie von Jugendlichen geführt wird.» Hier sieht auch der Verein Gaskessel den Knackpunkt des Handels. «Die
Jugendlichen haben die Mehrheit im Vorstand, und dies soll auch so bleiben», sagt Francisco Droguett vom Gaskessel. Durch die Stadt sei eine gute Begleitung der Jungen gegeben gewesen. Diese Art
der Unterstützung könne der Kanton kaum leisten, fürchtet Droguett. Eine Möglichkeit sei es, dass die Stadt vom Kanton ein Mandat zur Begleitung erhalte. «Es ist wichtig, dass die Stadt zumindest
noch eine begleitende Funktion haben wird», sagt dazu Schläppi.
Der Widerstand der Politik
Auch wegen der unklaren Rolle der Stadt gibt es politischen Widerstand. GFL-Stadtrat Manuel C.Widmer fordert den Gemeinderat in einer Motion dazu auf, den Gaskessel nicht abzutreten. Übernehme
der Kanton das Ruder, müsse die Stadt darauf bestehen, den Leistungsvertrag auszuhandeln und den Verein zu begleiten und zu kontrollieren, fordert Widmer. Er stellt zudem eine bessere
Erschliessung, dringend nötige Sanierungsmassnahmen durch die Stadtbauten sowie eine Lockerung der Überzeitbewilligung zur Diskussion. Denn der Reitschule-Vorplatz und der Gaskessel müssten als
Anlauforte für Junge gleich lange Spiesse haben.
Widmer stellt sich vor, dass der «Chessu» unter Führung der Stadt wieder zum Anlauf- und Kulturzentrum der Berner Jugend werden könnte, vor allem für 16- bis 18-Jährige. Eine Verjüngung des
Zielpublikums hat auch der Kanton im Auge – damit das Angebot den Richtlinien der offenen Kinder- und Jugendarbeit entspricht. Sicher wolle man die Arbeit des jetzigen Vereins nicht torpedieren,
sagt Sabine Schläppi vom Kanton. «Wir haben ein Interesse daran, das jetzige Angebot bestehen zu lassen.» Im Gaskessel hat man sich unabhängig davon bereits Gedanken über ein Programm für etwas
Jüngere gemacht. Es fehle aber Geld, sagt Francisco Droguett und schlägt vor, über die Monatsmiete von gut 14'000 Franken zu diskutieren, die den Stadtbauten verrechnet wird.
Dringliche Motion Fraktion GFL/EVP (Manuel C. Widmer, GFL)
Der Gaskessel gehört der Berner Jugend – und so soll es auch bleiben!
41 Jahre steht der Gaskessel der Berner Jugend nun zur Verfügung – ein Geschenk des damaligen Stadtpräsidenten Raynold Tschäppät an die Teenager in der Hauptstadt. Turbulente Zeiten hat der
Gaskessel seit da mehrfach durchlebt – zuletzt in den letzten 3 Jahren, dies vor allem wegen finanzieller Probleme.
Nach dem „Runden Tisch zum Nachtleben“ vom 04.07.12 wurde unter anderem auch der „fehlende Freiraum für Berns Jugend“ beklagt und der Ruf nach einem „Jugendzentrum im Zentrum“ wurde laut. Dabei
hat Bern eine einmalige Infrastruktur, ein Jugendzentrum an schönster Lage. Leider konnte dieses in den letzten Jahren nicht mehr als solches nicht mehr wahrgenommen werden – auch weil die
Betreiber wegen finanzieller Turbulenzen zeitweise keine Veranstaltungen mehr stattfinden lassen durften, die nicht garantiert Gewinn abwarfen. Dabei bleib aber offensichtlich der Anspruch auf
der Strecke, ein Haus mit niederschwelligem Zugang für die Jugendlichen Berns zu sein – denn Gewinn werfen Partys mit Leuten aus dem Segment 16 – 20jährige selten ab. So wurde der Gaskessel mehr
und mehr zu einem Veranstaltungsort wie viele andere.
Selbst wenn diese Hürde nun genommen scheint, drohen dem Gaskessel weitere Turbulenzen. Eine enge Begleitung des jugendlichen Vereinsvorstands des Kessels und eine Wiederbelebung der Jugendarbeit
an diesem Ort scheinen durch die Revision des kantonalen „Verordnung über die Angebote zur sozialen Integration» (Asiv)“ gefährdet, weil der Kanton den Gaskessel als überregionales Angebot direkt
finanzieren und steuern und damit die Kürzung im Lastenausgleich für die offene Kinder- und Jugendarbeit der Stadt Bern teilweise kompensieren will. Der Kanton soll also die finanziellen Lasten
übernehmen – und die Leitung und Kontrolle über das Jugendzentrum.
Der Berner Gaskessel lebt vor allem auch von seiner einzigartigen Struktur: Im Vorstand des „Chessus“ haben Jugendliche eine Mehrheit. Diese Struktur bedingt aber auch eine enge Begleitung und
einen häufigen Austausch zwischen Verwaltung und Gaskessel. Diese „Enge“ ist heute – für beide Seiten – eine wichtige Voraussetzung für die jeweilige Arbeit und für das Zusammenspiel von
Verwaltung und Jugendzenrum.
Der Gaskessel gehört der Berner Jugend – Tschäppat Senior hat ihn ihr geschenkt. Geschenke darf man nicht weiterverschenken oder verscherbeln. Zudem wird es Zeit, dass der Gaskessel nach dem
Durchschreiten der finanziellen Talsohle der letzten Jahre wieder aktiver in der Jugendarbeit tätig wird und sich erneut als Anlauf- und Kulturzentrum für Berns Jugend etabliert. Mit dem Event
„Tanz dich frei“ und den darauf folgenden Diskussionen ist offensichtlich geworden, dass sich die Stadt Bern in Sachen Jugendarbeit und Jugendkultur einen grossen Nachholbedarf hat und sich
entschieden positionieren muss.
Der Gemeinderat wird deshalb aufgefordert,
Bern, 16.08.12
Begründung der Dringlichkeit: Bereits auf den 01.01.13 soll der Gaskessel an den Kanton übergeben werden. Verhandlungen laufen bereits. Es bleibt also ein knappes halbes Jahr für eine
Reaktion.
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