Macht Platz!
Die Sitzbänke müssen wieder weg. Manuel C. Widmer hofft trotzdem, dass sich die Bernerinnen und Berner ihre Plätze zurückerobern – und sie nicht den Hunden und den Behörden überlassen.
«Mach Platz!», tönte es noch vor ein paar Wochen vom Stauffacherplatz. Frau Friedli versuchte, ihrem Pekinesen Gehorsam beizubringen – und Pipi draussen. Ordnung muss sein. Auch wenn der pekinesische Hundehaufen in
Ermangelung an Roby-Dog-Säckchen heute liegenbleibt. Kann ja mal passieren. «Mach Platz!»
Für Ortsunkundige: Der Stauffacherplatz ist ein unwirtliches Stück Land im Berner Breitenrainquartier. Ein typischer Berner «Platz». Wenig Schatten, wenig Sitzgelegenheiten, wenig grün, wenig einladend. Mergel allüberall. Ausser für Frau Friedli und ihre Hündeler. Ein Hundepissoir sondergleichen – ausserhalb der offenen kynologischen Szene und ausserhalb des Breitsch eine urbane Randnotiz.
In aller Munde
Bis jetzt. Plötzlich ist der unwirtliche Stauffacherplatz in aller Munde und sogar im «Bund». Nachtbuben haben den Platz verunstaltet! Sitzmöbel aus Paletten haben sie hingestellt. Einfach so, ohne Erlaubnis. So selbergemachte. Mit Sitzkissen! Da könnte ja jeder wollen. Und dann noch diese Blumenkisten mitten auf dem Platz. Mit Pflanzen. «Dasch Anarchie! », entfährt es Frau Friedli – so laut, dass der Pekinese erschreckt winselt.
Dass eine örtliche Kaltsüsspeisenverkaufsstelle sich erdreistet, aus einem Hunde-WC einen belebten Platz zu machen, kommt nicht überall gut an. Sorgt für schiefe Blicke und ebensolche Mundwinkel. Vor allem bei jenen, die da nie absitzen würden. Und die, die da trotzdem sitzen und sich schleckend, redend, lesend, sonnenbadend oder diskutierend wundern, warum Frau Friedli ihren Pekinesen anschnauzt, geniessen es. Der Platz lebt, lädt ein, bietet Platz.
Das ruft natürlich all jene auf den Plan, die diese Anarchie für das Ende aller Zeiten und ein Hunde-WC für gesellschaftlich relevanter halten als (spontan entstandene) Quartiertreffpunkte. Sie verbünden oder verbrüdern sich mit Herrn Wüterich und Frau Friedli, um dem aufkeimenden Unkraut auf dem Platz den Garaus zu machen und aufploppende Farbtupfer in schwarzweiss zu tauchen.
Plötzlich wieder Farbe
Die Rückeroberung hat begonnen. Kleine, feine Pflänzchen suchen sich ihren Weg durch eine dicke Bodenschicht aus diffusen Ängsten, überzüchteten Ruhebedürfnissen und immer engmaschiger werdenden Vorschriften. Sie recken ihre Köpfchen hoch, ankern die Würzelchen und hoffen, dass sie Frau Friedlis Pekinese und dessen Gassigehen nicht (be)treffen. Noch ist man irritiert, wenn Plätze ohne kommerzielle Absichten belebt werden. Wenn jemand Möblierung, Gartenbeete oder Boulebahnen einfach so hinstellt, für alle. Das plötzliche Wimmeln auf solchen Plätzen, das Spielen, Verweilen, Lesen, Essen, Sein, Treffen sind eine blasse Erinnerung, die plötzlich wieder Farbe kriegt.
«Macht Platz, Leute!» Eure Quartiere und Plätze haben es verdient. Der Quartierplatz als Lebensraum statt «Der Platz als Platz», wie die Stadt es gerne nennt. Gestaltet von jenen, die ihn brauchen – für jene, die ihn brauchen. Wäre sicher auch ein Konzept für den Lory- oder den Brünnenplatz.
Vielleicht ein paar Abfallkübel
Den Bundesplatz hat sich die Bevölkerung ja längst zurückgeholt, belebt und bespielt. Jetzt heisst es «Macht Platz! » in den Quartieren. Die Stadt soll wohlwollend, pragmatisch begleiten. Vielleicht ein paar Abfallkübel hinstellen, damit sich die Nutzer nicht wie Pekinesen benehmen und ihren Dreck einfach liegen lassen.
Und wer die Rückeroberung von Hundetoiletten für die Quartierbevölkerung für problematisch hält, muss da ja nicht hingehen. Oder hingehen und mitbeleben, ohne Angst und vielleicht sogar mit Pekinese.
P.S. Noch während ich hoffnungsvoll in die Tasten greife und zum kollektiven Platz machen auffordere, müssen die Sitzgelegenheiten (doch ein wenig überraschend) entfernt werden. Begründung der Stadt (verkürzt): «Da chönnt ja jede choo.» Bleibt die Hoffnung, dass bald jede/jedi chunnt und Platz macht. Im Breitenrain, in der Länggasse, im Mattenhof, in Brünnen, im Ostring... Und in ein paar Köpfen müsste auch etwas Platz gemacht werden.
Kommentar schreiben