Schwan oder Ente?
Bevor ihm die Tastatur unter den Fingern wegschmolz, konnte unser Kolumnist Manuel C. Widmer noch wichtige Informationen zum traditionellen Phänomen Sommerloch übermitteln.
Ist ja wieder super. Wenn ich eine Kolumne schreiben soll, kommt das Sommerloch, schluckt alles, was nach Thema, Ereignis oder Politik riecht und gibt es bis August nicht wieder her. Das Sommerloch scheint das einzige stabile Wurmloch in unserem Universum zu sein: Es kehrt jeden Juli wieder, bleibt etwa 60 Tage und verschwindet dann ebenso plötzlich, wie es aufgetaucht ist.
Dass das Sommerloch ein Schwarzes Loch sein muss, zeigt sich daran, dass sich am Ereignishorizont (Bund, BZ, 20 Minuten, Watson etc.) Dinge ereignen, die in der realen Welt kaum für möglich gehalten werden. Regelmässig tauchen in bernnahen Wäldern schwarze Grosskatzen auf, deren eigentliches Verbreitungsgebiet ganz woanders liegt, es werden in Badetümpeln Achillessehnen von Schnappschildkröten durchgebissen oder Krokodile fressen in der Aare kleine Kinder.
Das Auftauchen des Sommerlochs führt zum 1.-April-Effekt: Man liest die Zeitung – und plötzlich könnten alle Artikel der Aprilscherz sein. Man weiss nicht, was man glauben soll und was nicht. Gibt's nun diese Handyspur in der Stadt? Werden die Bären ausquartiert? Und wenn ja, weil der Bärenpark, kaum fertig, schon wieder futsch ist? Fliesst der Stadtbach in der Gerechtigkeitsgasse zehn Meter rückwärts? Will die SVP mit der Waldstadtinitiative wirklich Wald schützen – obschon eines ihrer letzen Wahlplakate einen Eidgenossen zeigt, der einen Baum ausreisst, damit dieser abstirbt?
Sind solche Temperaturen wirklich nur Zufall und die Klimaveränderung ist auch nur eine Sommerloch-Ente? Tritt Blatter wirklich vom Rücktritt zurück – und macht es ihm Tschäppät nicht doch noch nach? Ist Bern trotz 20 Jahren RGM-Mehrheit wirklich immer noch keine Velostadt (und wenn ja, warum)? Sind wirklich vier SchweizerInnen in Wimbledon im Achtelsfinale (oder halluziniere ich schon nach nur vier Tagen über 30°C)? Und es kann doch nur Sommerloch sein, wenn Zeitungen schreiben, der BSC YB sei Transfersieger und damit titelreif?
Allerdings wird es ganzjährig schwieriger, Fiktion und Realität auseinander zu halten – oder zu glauben, was schwarz auf weiss (oder 0 auf 1 für digitale Medien) ins Haus flattert: Niemand hatte nicht gestaunt, als vor ein paar Tagen in der Zeitung stand, dass die Stadt das Kulturkonzept extern vergeben haben soll und die Kultursekretärin mit der Entstehung desselben genauso viel zu tun haben soll wie mit der Kultur in der Stadt überhaupt – nämlich nichts. Leider keine Ente, kein Sommerlochartikel, sondern echt wahr.
Auch die Nachricht von letzter Woche, dass Chris von Rohr in der SRF-Arena zum Lehrplan 21 als Hauptreferent auftreten würde, hielt ich bis letzten Freitag um 22.22 Uhr für eine Sommerloch-Ente erster Güte. Wegen des Kopftuch-Zweihänder-Pseudo-Pädagogen drückte ich schon bald einmal den Power-Knopf. Auch wenn er besser war als Verena Herzog. Schade – auch das keine Sommerloch-Ente.
Auch den Sammel-Rücktritt der Stadträte Schneider (BDP), Rub (FDP) und Sönmez (SP) hielt ich für eine Ente erster Güte: Da werden doch nicht die Konstruktiven und die Querdenker, die Farbtupfer dreier Fraktionen, aufs Mal zurücktreten? Schon wieder falsch gelegen... Und keine Stopp-Taste wie beim Möchtegern-Rigozzi der Bildungspolitik.
Dass aber ein Sprecher an der Parteiversammlung einer Regierungspartei unwidersprochen dazu auffordern kann, man solle «einem Brief an die Bundesrätin doch etwas Mehl oder Zucker beizufügen, um den Forderungen der SVP genügend Nachdruck zu verschaffen» kann und will ich nicht glauben.
Ich freue mich trotzdem aufs Zeitungslesen in den nächsten acht Wochen, aufs Raten, was Schwan und was Ente ist – und ob aus einer hässlichen Ente nicht doch noch ein Schwan wird. Spannendes, kühles Sommerloch euch allen!
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